Schneebälle


In der Straßenbahn unterwegs nach Irgendwohin. Die Gedanken schweifen, bleiben flüchtig berührend an den rotnäsigen Gesichtern mir gegenüber hängen. Die Luft ist mit warmer Feuchtigkeit gesättigt, die dicken Mäntel dampfen. Draußen ist alles weiß, zum ersten Mal in diesem Winter liegt eine dicke Schneeschicht über der Stadt.

Meine Aufmerksamkeit ist wattig. An der Haltestelle wuseln kleine Jungs aufgeregt mit den Händen in den Schneehügeln auf den Autos. Ranzen und Rucksäcke auf einem Haufen abseits gestapelt. Handschuhgeschützte Hände bilden kleine, dicke Bälle. Halten inne, die Jungs rennen nach vorne, den Fahrer der Bahn mit den Augen bindend:

„Herr Fahrer, lieber Herr Fahrer, dürfen wir bitte Ihre Bahn mit Schnee bewerfen? Ja? ja? ja?!!!!“

Rennen zurück und „Plopp, plopp, plopp!“ zerschellen die Bälle an den Fensterscheiben.

Die Bahn biegt um die Ecke, meine Gedanken zurück in das Lachen meiner Kindheit und ich schrecke auf. Was, um Gottes Willen, war denn das eben? Die haben nicht wirklich um Erlaubnis gefragt? Oder doch? Das glaub ich doch nicht?! Wo ist denn da der Spaß, die Freude des Überfalls? Das Kitzeln des Verbotenen und das herrliche Prickeln der schon vorausahnenden schnellen Flucht? Das Lachen, dieses tiefe aus dem Bauch kommende gemeinsame Lachen danach und das kichernde Zittern vor dem Ertapptwerden und den folgenden Konsequenzen?

Ähm, was soll das? Klopfen die nun vorher an und bitten um Erlaubnis, bevor die kleinen Hände von oben nach unten über die Türklingeln sausen? Schellenkloppen mit vorheriger konsensualer Absprache?

Wo sind sie geblieben, diese harmlosen, verbotenen Spiele der Kinder, in denen Grenzen ausgetestet und Konsequenzen für Regelbrüche geschmeckt und schluckend in Kauf genommen wurden, weil es einfach Spaß machte zusammen und es sich so wunderschön abenteuerig anfühlte?

Die Nase schnupfend hoch ziehend sickert leise Traurigkeit durch mein Gemüt.

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