
Elisa schlägt die Augen auf. Die Sonne
scheint durchs Fenster. Sie liegt in einem weichen Bett. Sie fühlt sich müde
und zerschlagen. Wo ist sie? Eine Hand streichelt ihr Gesicht. Sie kennt den
Duft, fühlt die bekannten Schwielen über ihre Wangen gleiten. „Hallo, Liebes,
alles wird gut. Schlaf mein Kind, schlaf, es kann dir nichts Schlimmes mehr
geschehen. Schlaf meine Tochter, schlaf.“ Der Singsang von Mutters Stimme hüllt
sie ein. Elisa entspannt sich und schläft.
„Guten Morgen, mein Liebling!“ Die
Stimme ihrer Mutter klingt weich und verführerisch. Elisa schlägt die Augen
auf. Wer ist diese Frau neben ihrem Bett? Sie sieht so fremd aus. Ihre Mutter
hatte volle, lange dunkle Haare, die ihr schwer über die wohlgeformten
Schultern fielen. Ihre Augen blitzten vergnügt in dem rundlichen Gesicht. Ihre
großen Brüste boten nicht nur dem kleinen Bruder Nahrung und Wärme, sondern
auch Elisa Schutz und Geborgenheit. Die breiten Hüften bewegten sich rhythmisch
zum Tanz und die Füße stampften den Takt. Vor ihr sitzt ein Gespenst. Eine alte
Frau mit stumpfem Haar, schmalem Gesicht mit eingefallenen Wangen. Die
Schultern knochig nach vorne gebeugt und die Hände zittrig im fleischlosen
Schoß liegend. Wer ist das? Die Stimme gehört ihrer Mutter und in den Augen
erkennt sie vage den erinnerten Schein. Was ist geschehen? Bilder in Rot und
Schwarz formen sich vor Elisas Augen. Feuer, Soldaten, Gewehrschüsse – ihr Vater
rennt zurück zur Hütte. Er will den Sohn vor den Flammen retten. Das brennende
Dach stürzt über ihm zusammen. Elisa rennt mit den anderen davon. Nur weg vom
Dorf. Immer weiter und weiter laufen sie. Kein Essen, kein Wasser. Tagelang,
wochenlang. Wer hinfällt, bleibt liegen, die anderen steigen über ihn hinweg.
Ein böser Traum, nein kein Traum. „Mama, hilf mir, hilf mir doch!“ Die Mutter
schließt sie fest in die zittrigen Arme. Alles wird dunkel.
Elisa ist jetzt schon seit mehreren
Wochen auf der Station. Langsam kommt sie wieder zu Kräften. Jeden Tag steht
sie für eine kurze Zeit auf. An Krücken bewegt sie sich langsam durch den Flur.
Ihre dünnen Beinchen können das Gewicht ihres Körpers noch nicht alleine
tragen. Ihre Mutter ist die meiste Zeit bei ihr. Am Anfang konnte Elisa nichts
essen. Über einen Schlauch wurde die Nährlösung direkt in ihren Magen geleitet.
Auch jetzt fällt ihr das Schlucken schwer. Und noch viel schwerer fällt es
ihrem Körper, die Nahrung bei sich zu behalten. Elisa hat einen richtigen Ekel
vor dem Essen. Obwohl sie einen wahnsinnigen Hunger hat, verkrampft sich alles
in ihr, wenn die Mutter den Teller zum Bett bringt. Der Arzt sagt, dass es
nichts mit dem Körper zu tun hätte, sondern mit ihrem Kopf und ihrer Seele.
Manchmal unterhält er sich mit ihr und versucht ihr etwas zu erklären. Elisa
versteht ihn ein wenig. Die Schwestern in ihrer Schule im Dorf haben auch in
dieser Sprache gesprochen. Und sie lernt schnell.
Bald wird sie mit ihrer Mutter das
Krankenhaus verlassen. Sie werden in einem Wohnheim für Flüchtlinge zwei Betten
bekommen. Und, Elisa darf wieder in die Schule gehen. Die Mutter und die Ärzte
haben es ihr fest versprochen. Sie freut sich so sehr darauf, es ist wie ein
Licht am Ende eines dunklen Tunnels. Wenn sie die Angst überfällt, die Bilder
sie überrollen und einzufangen drohen, dann, dann denkt sie an dieses
Versprechen und hält es wie einen Talisman gegen böse Geister in sich fest.
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