Begegnung


Eigentlich hatte sie den Tag im Büro nur durch die Vorfreude auf die Abkühlung am Abend überlebt.

Im Supermarkt noch schnell was eingekauft und dann ab nach Hause. Klar, dass der Aufzug im oberen Stockwerk stand und nur in Zeitlupe nach unten ratterte. Kaum war sie drin, ging die Tür nochmal auf und ein älterer Herr stieg schnell zu.

Oh nein, Herr Krawaski, der Mieter vom letzten Stock. Ein etwas griesgrämiger alter Herr im immer gleichen Anzug und immer mit den Heftchen von den Rosenkreuzlern unterm Arm. So ganz und gar nicht ihr Fall.

Der Aufzug setzte sich endlich in Bewegung. Erster Stock, zweiter Stock, dritter Stock fast – ein Ruckeln, ein Zuckeln, Aufzug steht.

„Nein, das glaub ich jetzt nicht! Das Ding ist doch nicht etwa hängen geblieben?!“

Neben sich ein tiefer Seufzer.

„Sie bekommen jetzt aber keine Panik, Herr Krawaski! Sonst fange ich an zu schreien und höre nicht mehr auf!“

Herr Krawaski holte mehrmals tief Luft und auch wenn seine Stimme zitterte, so schien er doch mit jedem Atemzug gefasster.
 
„Nein, nein Fräulein, alles gut, alles gut. Was machen wir denn jetzt?“

„Wir klicken die Notrufzentrale an und machen es uns dann hier gemütlich. Weil, das wird eine Weile dauern.“

Sprach es, klickte den Notrufknopf und ließ sich auf den Boden nieder.

„Setzen Sie sich nur, Herr Krawaski! Kommen Sie, ich habe etwas zum Trinken da und etwas zum Knabbern.“

Tatsächlich setzte sich der alte Herr, wenn auch etwas zögerlich, neben sie und schaute ihr beim Auspacken der Einkaufstüten zu. Als sie anfing alles wie auf einem Tisch anzuordnen, legte er, fast schüchtern, sein Heftchen, aufgefaltet wie ein Tischdeckchen zwischen sie.

„Ach, leider müssen wir jetzt vegetarisch. Ich habe nur Tomaten, Paprika, Pfirsiche und Bananen da. Alles andere sind Dosen.“

„Das macht doch nix, Fräulein. Damals, als ich noch jung war, da wäre dies ein frugales Mahl gewesen.“

Also saßen sie dann da, knabberten sich durch das Obst und Gemüse, schwiegen ganz friedlich miteinander und keiner hatte den Eindruck, dass der andere sich unwohl dabei fühlte.

Als nach anderthalb Stunden, die den beiden gar nicht so lange vorkamen, endlich der Aufzug nach oben und offen, verabschiedete sich Herr Krawaski mit leiser Stimme und einem wirklich überraschenden Satz von ihr: „Sie sind aber wirklich eine süße Biene, Fräulein!“

Mit offenem Mund schaute sie ihm verblüfft nach und verfiel dann in ein glucksendes Kichern.

„Das war ja mal ein feines Abenteuer!“



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