Sandbad


Obwohl sie schon seit mehr als dreißig Jahren verheiratet waren, hängte Klaus-Dieter ihr immer noch am Rockzipfel. Kein Spaziergang, kein Stadtbummel, kein Kaffeehausbesuch möglich, ohne dass er nuschelnd mitteilte: „Ich komme mit dir, mein Schatz!“ Es war anstrengend, wohlwollend formuliert. Ein grantiger Langweiler war er geworden und ihre Freundinnen vermieden mittlerweile die gemeinsamen geselligen Kontakte und gaben ihr nur noch selten Bescheid, wenn sie mal wieder in der Stadt zum vergnüglichen Shoppen unterwegs waren.

Nun sind sie, wie jedes Jahr im Herbst, in Bad Salzobersdorf. Hier gibt es wunderbare altmodische Sole Anwendungen und sie buchen diese Kur regelmäßig seit dem Beginn ihrer Ehe. Der neuste Schrei im Wellness-Angebot ist dieses Jahr das sogenannte Sandbad. In einem tiefen Becken legt man sich auf eine Schicht feinkörnigen Sand und dann rieselt wie Wasser aus unzähligen kleinen Düsen immer mehr von diesem Zeugs auf einen herab, bis man gänzlich bedeckt ist. Die Atmung erfolgt über eine fest angelegte Gesichtsmaske aus der ein dicker Schlauch nach oben reicht. Das schwere Gewicht des Sandes soll Geist und Körper umschließen und so in einen Zustand der Besinnung und Ruhe geleiten.

Erna hat ihr Bad am frühen Nachmittag sehr genossen und genießt ebenso zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder die lockere Plauderei am Kaffeetisch mit einigen neuen Bekannten. Sie ist ganz gelöst, ihr Lachen klingt kindlich befreit, ihr Geist ist ruhig und sie unterhält sich mit Witz und Esprit. Sie trägt einen Hosenanzug, obwohl Karl-Dieter dieses Teil noch nie an ihr gemocht hatte.

Karl-Dieter liegt noch immer im Sandbad. Er wollte ja unbedingt mitkommen, obwohl der Arzt ihm bei der Vorbesprechung doch dringend abgeraten hatte. Wegen seinem Herzen. Doch diesmal hatte sie ihn quasi dazu eingeladen, indem sie sich zu laut und zu begeistert offensichtlich darauf freute, alleine zu gehen. Ja, und dann stieg sie zuerst aus dem Becken und hörte seinen schnaufenden Atem vom Becken gegenüber und sie nahm das Handtuch und...

Sie wird ab heute keine Röcke mehr tragen, es hat sich ausgezipfelt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen